250 bis 350 Wölfe sind ausreichend zur Bestandserhaltung

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Manfred
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250 bis 350 Wölfe sind ausreichend zur Bestandserhaltung

Beitrag von Manfred »

Aus den Informationen des schwedischen Wolfsmanagements und der Arbeit von Boitoni geht hervor, dass für den Erhalt und zur Inzuchtvermeidung einer Wolfspopulation 250 bis 350 Tiere ausreichend sind, wenn ein gelegentlicher genetischer Austausch mit einer benachbarten Population erfolgt.
In Schweden geht man davon aus, dass es ausreichend ist, wenn im Schnitt alle 5 Jahre eine Wolf aus Finnland zuwandert, der sich dann erfolgreich mit den schwedischen Tieren vermehrt. IdR werden dort sogar mehrere aus Finnland zuwandernde Tiere pro Jahr beobachtet.
Schweden hat eine gemeinsame Population mit Norwegen. In Schweden ca. 350 Tiere, in Norwegen ca. 55.
Die Schweden hatten ihren Anteil am nötigen Bestand für eine gesicherte Erhaltung zunächst auf 270 Tiere festgelegt, diesen 2016 dann aber nach 2 neuen Untersuchungen durch je eine europäische und eine nordamerikanische Arbeitsgruppe auf 300 Tiere erhöht, um auf der sicheren Seite zu liegen. Dazu kommen die ca. 50 bis 60 Wölfe auf der norwegischen Seite.

Da auch für die deutsch-westpolnische Population der gelegentliche genetische Austausch mit anderen Populationen (v.a. der baltischen) sichergestellt ist, wären also auch in diesem Bereich um die 350 Wölfe ausreichend.
Ginge man von einer gleichmäßigen Verteilung auf Deutschland und Westpolen aus, läge der nötige deutsche Anteil bei 175 Tieren.

Die oft in den Raum gestellte Zahl von 1000 nötigen Tieren bezieht sich ausschließlich auf völlig isolierte Populationen ohne jeden genetischen Austausch.

(In Deutschland könnte man sogar noch weiter gehen und durch den zunehmenden Zusammenschluss der Verbreitungsgebiete davon ausgehen, dass unsere Wölfe in ein Teil der baltischen Population sind (So wurden sie auch bis vor wenigen Jahren in der Roten Liste geführt und es gibt nach wie vor keine genetischen Belege, die für eine isolierte Population sprächen. Im Gegenteil wurde der genetische Austausch mehrfach bestätigt.)
Da die baltische Population wiederum im Austausch mit der in Karelien und wohl auch der weiter im Osten steht, wären in D für den Erhalt dieser mehrere tausend Tiere starken Gesamtpopulation gar keine Wölfe nötig, da der Bestand nicht gefährdet ist.)


Quellen:

Dr. Michael Schneider (Sachverständiger für Raubtierfragen für die Regierung der schwedischen Provinz Västerbotten) und Hanna Dittrich Söderman (Sachverständige für Raubtierfragen beim Schwedischen Zentralamt für Umwelt in Stockholm) haben am 13.09.2017 im Rahmen der Sitzung des Ausschusses für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft in Brandenburg einen Vortrag über das schwedische Wolfsmanagement gehalten.

Das Protokoll der Ausschusssitzung kann hier heruntergeladen werden:
https://www.parlamentsdokumentation.bra ... LUL/32.pdf

Der Wortlaut des Vortrages findest sich unter TOP 2, ab Seite 6.
Die PowerPoint-Präsentation zum Vortrag findet sich im Anhang 4, ab Seite 65.
Eine Schriftliche Stellungnahme der beiden findet sich im Anhang 4, ab Seite 93.
(Ich empfehle, das Dokument in 2 Browserfenstern zu öffnen, um den Wortlaut des Vortrags und die Präsentation nebeneinander ansehen zu können.


Bereits am 22.03.2017 fand der erste Teil der Sitzung zum Wolfsmanagement statt.
Darin ging es hauptsächlich um EU-rechtliche Fragen.
Das Protokoll dieser ersten Sitzung findet sich hier:
https://www.parlamentsdokumentation.bra ... LUL/27.pdf
Manfred
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Re: 250 bis 350 Wölfe sind ausreichend zur Bestandserhaltung

Beitrag von Manfred »

Wirklich interessant, was man alles findet, wenn man sich in die Quellen einliest.

"Linnell 2008"
Mit diesem Kurzverweis werfen diverse Organisationen gerne um sich, ohne sich auch nur die Mühe einer sauberen Quellenangabe zu machen.

Gemeint sind die "Leitlinien für Managementpläne auf Populationsniveau für Großraubtiere. Abschließende Version vom 1. Juli 2008"

http://www.wolfszone.de/000main/texte/L ... 8%20DE.pdf

Erstellt wurde das Dokument von der "Large Carnivore Initiative for Europe" (Initiative Großraubtiere für Europa).

Ausgeschrieben und bezahlt wurde das Projekt von der Europäischen Komission.
Der Auftrag ging an ein Konsortium aus
-Institut für angewandte Ökologie (Italien)
-Norwegisches Institut für Naturforschung (Norwegen, federführend John Linnell)
-Callisto (Griechenland)
-KORA (Schweiz)

Unter Punkt 2, ab Seite 6, gibt es eine längere Diskussion darüber, was überhaupt eine Population sei.
Die Arbeitsgruppe ist hier anscheined, statt eine saubere Populationsbiologische Definition abzugeben, einer Art basisdemokratischem Prozess gefolgt und hat sich darauf geeinigt, dass man sich nicht einige ist und man sich am besten alle Optionen offen lässt...
Es wird angemerkt, dass man eigentlich von Meta-Populationen und Sub-Populationen sprechen müsse, der Einfachheit halber im Text statt Sub-Population den Begriff Population verwenden werde.

Das ist wohl eine der Hauptursachen dafür, dass diese Arbeit ständig falsch bzw. missverständlich zitiert wird, ob mit Absicht oder aus Unwissenheit.

In der Populationsbiologie ist der Begriff Population halbwegs sauber definiert.
Vergleiche dazu z.B. Herzog, Sven: Die Populationen des Wolfes (Canis lupus) in Europa: Herleitung eines operationalen Konzeptes für
das Management

Er führt darin anhand mehrere Zitate die Entwicklung des Populationsbegriffs in der Populationsbiologie aus.

-Zitat-
Populationsgenetiker (zum Beispiel HATTEMER et al. 1993) definieren die Mendel-Population als
"Kollektiv zu generativer Reproduktion befähigter biologischer Organismen, in welchem jedes Paar von
Individuen die Möglichkeit besitzt, wenigstens einen gemeinsamen Nachfahren zu haben. Dies muss nicht
notwendig schon in der unmittelbaren Folgegeneration eintreten".
Wenn es also eine Möglichkeit gibt, sich zu paaren, dann ist die Wahrscheinlichkeit, gemeinsame
Nachfahren (nicht unbedingt: Nachkommen!) zu haben, größer Null. Weiter führen HATTEMER et al.
(1993) aus: "Zwei Mendel-Populationen sollen nun die biologische Art repräsentieren, wenn
Umweltbedingungen existieren, unter welchen sich ein aus beiden Populationen gebildetes Kollektiv wie
eine einzige Mendel-Population verhält. Die biologische Art ist damit grundsätzlich eine genetisch
abgegrenzte Reproduktionseinheit" (loc. cit. p. 130)."
-Zitat Ende-

Sprich alle Tiere einer Art, die räumlich so in Verbindung stehen, dass sie oder ihre Nachkommen sich theoretisch miteinander verpaaren könnten, gehören zu einer Population.

Linnell et al bezeichen dies als "Meta-Population".
Als "Sub-Population" bezeichnen sie Teile dieser "Meta-Population", die räumlich oder auf irgendeine andere (beliebig zu definierende, z.B. verwaltungstechnische) Art "getrennt" sind, aber mit der "Meta-Population" z.B. durch Wanderung oder direkte räumliche Anbindung im genetischen Austausch stehen.
Und dann vereinachen sie diesen Begriff der "Sub-Population" einfach zu "Population", was dann zu massiven Widersprüchen führt, weil ja etwas völlig anderes gemeint ist als die saubere biologische Definition.

Und dieses Missverhältnis wird dann dazu genutzt, z.B. per Verwaltungsakt eine "europäische Flachlandpopulation" zu definieren, die aus biologische Sicht schlicht und ergreifend nicht existiert, weil keine räumliche Isolation gegeben ist.


Im weiteren wird durch Linnell et al dann versucht, sinnvolle Mindestgrößen einer "Meta-" oder "Sub-Population" zu definieren.
Auch dies scheitert kläglich, weil es eine völlig unübersichtliche Vielfalt von Gedanken- und Berechnungsmodellen gibt, die selbst auf gleicher Datengrundlage jeweils zu anderen Ergebnissen gelangen.
Also hat sich die Arbeitsgruppe schließlich darauf geeinigt, die bereits verbeitet angewandte Festlegung der IUCN (International Union für Conservation of Nature = Weltnaturschutzorganisation) zu übernehmen.
Die IUCN sieht zur Sicherstellung eines guten Erhaltungszustandes einerPopulation (im biologischen Sinn) bzw. "Meta-Population" (nach Linnell et al), also ein räumlich komplett isoliertes Vorkommen ohne jeden genetischen Austausch) eine Mindestzahl von 1000 geschlechtsreifen Individuen vor.
Für eine "Sub-Population", also im biologischen Sinn eine räumlich abgegrenzte aber z.B. durch Wanderung einzelner Tiere im genetischen Ausstausch stehende Teilpopulation ist für einen guten Erhaltungszustand von der IUCN die Zahl von mind. 250 geschlechtsreifen Individuen vorgesehen.
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