Tierarzt-Bullshit

(Dieses Forum ersetzt nicht die Diagnose oder Behandlung durch einen Tierarzt.)
grauwoller
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Tierarzt-Bullshit

Beitrag von grauwoller »

bin zwar selber kein Tierarzt,sonder langjähriger Schafhalter mit wurzeln in der Herdbuch-Rinderzucht.
Ich habe viele Erfahrungen mit Wiederkäuern gesammelt, und schon diverse Tierärzte kennengelernt,sodass ich sagen kann: es gibt viele gute,aber ein paar wenige Schnachnasen sind sicherlich auch dabei.
Die Art und Weise, wie Forenmitglieder hier regelmäßig den Berufsstand des Tierarztes in Frage stellen, gipfelnd in der Bezeichnung "Tierarzt-Bullshit", geht mir extrem auf die Nerven.
Der Tierarzt ist ja in erster Linie ein Dienstleister, der sich in seinem Fachgebiet durch ein langjähriges Studium ein umfangreiches Wissen angeeignet hat. Das befähigt ihn aber nicht unbedingt dazu, den Umgang mit seinen Kunden so hinzubekommen, dass dieser mit dem Einsatz seines Wissensvorsprungs zufrieden ist. Das kiegt manchmal an der Persönlichkeit von Tierarzt und oder Kunde, aber auch nicht selten daran,dass oftmals Unkenntnis darüber herrscht, wieviel Geld der Kunde bereit ist, für die Dienstleistung des Tierarztes auszugeben. Setzt der Kunde das Signal, dass er den vollen Umfang der Möglichkeiten der Diagnostik des Tierarztes in Anspöruch nehmen möchte, und ist der Tierarzt von der Liquidität des Kunden überzeugt, wird man bei den meisten Tierärzten mit einer hervorragenden Dienstleistung bedient, da bin ich mir absolut sicher.
Gerade Tierhaltungs-Anfängern die Spezies Tierarzt derart madig zu machen,und andererseits zu suggerieren, man könne über Ferndiagnostik im Forum seine kranken Tiere heilen,halte ich für unverantwortlich,

Christoph
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Steffi
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von Steffi »

In 13 Jahren Schafhaltung habe ich auch meine Erfahrungen in Sachen Tierarzt gesammelt. Die letzte hat mein Bock mit seinem Leben bezahlen müssen, da drei TÄ (einer Gemeinschaftspraxis) vom bloßen Ansehen an drei aufeinander folgenden Tagen drei unterschiedliche Diagnosen und somit auch Behandlungen gestellt haben. Die eigentliche Krankheitsursache war leider nicht dabei (hätte aber ein rechtzeitiges (!) Blutbild aufzeigen können).
Seitdem ist für mich klar: Wenn ich nach einer Untersuchung vom TA ein "Ich glaube, es könnte... sein..." höre, darf er wieder fahren. Glauben, was es sein könnte kann ich selber. Den Fachmann hole ich, weil der wissen sollte. Wenn zur Diagnostik mehr gehört als bloßes Anschauen, Abhören/-tasten und Fieber messen, kann er mir das auch gern sagen. Entscheiden mag ich das dann gern selbst im Einzelfall. Was ich nicht mag ist, hinterher zu hören: "Die meisten sind nicht bereit, bei einem Schaf dafür zu zahlen, deshalb habe ich geglaubt..." Ich bin aber nicht "die meisten"!
Klare Frage: "Woran leidet das Schaf?" Klare Antwort: "Nach augenscheinlicher Beurteilung könnte es xy sein, für eine genaue Diagnose benötige ich Blut/Kot/Gewebe/sonstwas. Kostet ca. x €" GOT sollte jeder TA greifbar haben. Aber bitte kein orakeln oder die übliche "Würmer-Diagnose" ins Blaue hinein. Für die meisten TÄ ist bei ca. 50€ (Schlachtpreis) Behandlungskosten Ende der Fahnenstange, für die meisten Schafhalter sicher auch. 50€ sind dann etwa Anfahrt, Angucken, Abhören und - tasten und ´ne Wurmkur. Wenn´s was anderes ist, heilt es entweder von allein der auch nicht. Ist ja auch ok - wenn das so kommuniziert wird. Da sind mir Tierärzte, die klar sagen, daß sie von Schafen kaum Ahnung haben, fast noch lieber.

LG,
Steffi
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von Insane »

"Dienstleister, der sich in seinem Fachgebiet durch ein langjähriges Studium ein umfangreiches Wissen angeeignet hat"

Ja, nur eben oft nicht auf dem Gebiet der kleinen Wiederkäuer. Und ja, gern heißt es nachher: "ich wusste ja nicht, dass Sie DAS bezahlen wollen..."

Ich halte es mit Steffi: mir ist ein TA lieber, der zugibt keine Ahnung zu haben, als einer der nach dem Motto "real doctors t(h)reat more than one species" halt mal irgendwas probieren...

Es gibt in DE ziemlich genau zwei TA, denen ich (!!) umfangreiches Schafwissen zutraue und die auch über größere Entfernung richtige Diagnosen erstellt haben (B1-Mangel durch Symptombeschreibung am Telefon).
Das ist kein Heu in meinen Haaren - das ist Schäferglitzer :?:
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von grauwoller »

ich bin weit davon entfernt, allenTierärzten den persilschein auszustellen, habe mich selber auch schon einige male über Tierärzte geärgert.
Mittlerweile versuche ich aber, bevor der Tierarzt bei meinen Schafen erscheint, möglichst viel abgeklärt und beobachtet zu haben, um das Wissen des TA´s sinnvoll zu ergänzen,damit wir - und ich betone "wir"- die Möglichkeiten der Ursache schon zu anfang eingrenzen können. Ich sehe den Tierarzt als Partner, von dessen Wissen und Erfahrungsschatz (er hat nämlich selber 400 Schafe) ich nur dann optimal profitieren kann,wenn ich zu Temperatur, Verhaltensänderung und cronologischem Verlauf beim Patienten möglichst viel beisteuern kann. Ich signalisiere ihm zu Anfang, wie wertvoll mir das Tier als Zuchttier ist, sprich, was ich bereit bin zu investieren.
Man kann aber auch nicht erwarten, dass Tierärzte hellseherische fähigkeiten haben- wenn ich die Ursache für das Erkranken überhaupt nicht eingrenzen kann,dann macht es auch keinen grossen Sinn im Blut rumzusuchen. Habe ich aber durch Eigenbeobachtung zusammen mit dem Wissen des TA eine Vorstellung,wie der Feind heissen könnte, dann macht eine Blutuntersuchung auf jeden Fall Sinn.
wenn man natürlich der Meinung ist,TÄ sind sowieso alle doof, dann kann man sich ja im Forum beraten lassen...

Christoph
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Henry
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von Henry »

Meine Aussage "Tierarzt-bullshit" bezieht sich darauf, einem Schaf anzusehen, daß es eine unheilbare Meningitis habe. Wer sich zu solch einer Aussage als Tierarzt hinreißen läßt, tut dies aus zwei Motiven:
1. Selbstüberschätzung bzw. Vertrauen auf hellseherische Fähigkeiten oder
2. zur Gesichtswahrung und Beruhigung des Patientenbesitzers bei Ahnungslosigkeit.
Beide Motive sind jedenfalls nur mit Mühe als ehrenhaft zu bezeichnen. Oder der TA hat tatsächlich Recht, erkennt die (beim Schaf extrem seltene) Hirnhautentzündung und den verursachenden MRSA dahinter und trifft seine Euthansieentscheidung an Hand der von ihm erhobenen unumstößlichen Fakten, die eine anschließende Überprüfung in der Pathologie auch noch überflüssig machen. Dann - ja, dann - alle Achtung!

Es stimmt schlicht nicht, daß lediglich der finanzielle Rahmen die Qualität der tierärztlichen Maßnahmen bestimme. Einem TA der nicht über Erfahrung mit einer Rumenotomie am Kamerunschaf und die nötigen Bestecke verfügt, kann man ein üppiges Honorar zusichern, die Erfahrung und das Besteck fehlen dem trotzdem. Geld ist nicht das Problem. Mangelndes Interesse am Schaf, wegen der minimalen wirtschaftlichen Erfolgsaussichten bei seiner Behandlung auf Seiten der TÄe ist es. Und die ehrlichen unter ihnen, geben das unumwunden und oft mit Bedauern zu. Denen kann man vertrauen.
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von schafbauer »

Henry hat geschrieben: 2. zur Gesichtswahrung und Beruhigung des Patientenbesitzers bei Ahnungslosigkeit..
Ja leider viel viel zu oft. Kassiert wird aber trotzdem als wäre es die richtige Diagnose.
"Nur was man gerne macht, macht man auch gut." :schaf2:
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Henry
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von Henry »

... deshalb gehört jeder - auch und gerade jeder tierärztlich behandelte - Todesfall in die Patho! :klug:

Daran kann der TA was lernen übers Schaf, der Patientenbesitzer über den TA und der zukünftige TA in der Pathologie hat Fallmaterial von der Tierart, von der wir uns wünschen, er hätte später als Niedergelassener ein Interesse dran.
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von grauwoller »

man muss schon ein wenig fahnden, bis man den passenden Tierarzt gefunden hat . Dazu kann man aber mit Schäferkollegen oder Rinderhaltern reden, und dann werden einem schon die richtigen Kandidaten genannt
Meiner hat jedenfalls Spaß an Schafen, dafür gehen ihm die kläffer auf den Senkel, sodass er sich weitestgehend mit Großtieren befasst.
Ich könnte dir auch jede Menge TÄ nennen, die nicht auf Schafe wollen oder können, damit muss ich mich nicht lange befassen, sobald ich den passenden Ta gefunden habe.
Gegenseitiges Vertrauen ist die Basis für langjährige Zusammenarbeit, und langjährige Zusammenarbeit mit einemTA führt dazu, dass der TA die Herde gut kennt,und sich manches schon telefonisch klären lässt. Wenn man allerdings von Misstrauen und Besserwissen durchdrungen ist, oder gar die Diagnose schon selber stellt, dann wird es wohl nicht funktionieren...
Ich benötige ihn glücklicherweise höchst selten, aber seine knurrige schroffe Art nehme ich gerne in kauf, um von seinem fachwissen zu profitieren.

Christoph
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Henry
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von Henry »

grauwoller hat geschrieben:Wenn man allerdings ... gar die Diagnose schon selber stellt, dann wird es wohl nicht funktionieren...
Warum denn nicht? In den meisten Großschäfereien und auch bei vielen Kleinen funktioniert es doch ganz genau so - und nicht schlecht. Der Schafhalter teilt seine Diagnose und die gewünschte Therapie mit und der TA liefert, was gebraucht wird. Wenn der TA in die Diagnose eingebunden wird, dann als Labor. Er kriegt die Proben und liefert die Ergebnisse und manchmal eine Idee.

Läuft es anders, läuft es dagegen oft schlecht. Der TA wird vom ahnunglosen Tierhalter zu spät und/oder nach verschleppenden Maßnahmen gerufen, stellt Menigitis fest, schläfert ein und verläßt die Szene mit ner Rechnung. Das Schaf ist tot, der TA war weder erfolgreich noch hat er was gelernt und der Halter zahlt und hat die Trauer.

Wenn Du, grauwoller, mit einem schafehaltenden Großtierarzt gesegnet bist, fehlt Dir offensichtlich die Erfahrung, die andere immer wieder machen müssen, bis ihre oft verzweifelten Hoffnungen wieder und wieder enttäuscht werden. Wenn Du keine TÄe kennst, die heute noch Panacur an Schafe verabreichen oder beim Versuch, Blut zu ziehen, versehentlich Arterien punktieren, die ein Kamerunschaf nicht von einer Ziege unterscheiden können und auch kein Bühnerband einziehen, dann bist Du nicht der Durchschnitt. Dann gehörst Du zu denen, die sich glücklich schätzen können und Dich muß nur die Sorge umtreiben, wer Deinen Schafen hilft, wenn Dein TA mal nicht mehr ißt.
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Re: Tierarzt-Bullshit

Beitrag von grauwoller »

ich habe sicherlich glück mit meinem tierarzt, was seine fachliche kompetenz angeht.
Mir ist auch bewusst,dass es Gegenden gibt, wo man in puncto Tierarzt nur zwischen Not und Elend wählen kann.
Es ist aber keinem damit gedient, ein negative Grundstimmung gegenüber Tierärzten herbeizu-reden oder schreiben, das wäre den vielen guten gegenüber nicht fair. Versetzt man sich in die Lage eines jungen Tierarz-tes -tin dann muss man den wenigen,die sich überhaupt an die grosstierpraxis herantrauen, und sich den Argusaugen der knorrigen Bauern und Schäfern aussetzen, auch ein Chance geben. Die allermeisten TA-absolventen wollen doch auf Kleintiere, Pferde oder auf Zootiere. Wenn wir also nicht irgendwann ganz ohne Schaf-TÄ dastehen wollen,müssen wir denjenigen die da sind, kooperativ und positiv entgegentreten. Wenn sich herausstellt dass es Looser sind, dann hat´s natürlich keinen Sinn, aber ich warne vor Voreingenommenheit.
Ob imEinzelfall die Bezeichnung TA-Bullshit gerechtfertigt ist, da lässt sich drüber streiten. Mir ist aber eine in Augenscheinnahme eines halbwegs kompetenten Tierarztes wesentlich wertvoller als ein Ratschlag ohne Begutachtung vor Ort, selbst wenn der Ratgeber noch so viel Kompetenz versprüht.

Christoph
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