Geburtshilfe bei der Normallammung?

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Henry
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Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Henry »

Moin,
Ich möchte ein Thema ansprechen, das gerade jetzt immer wieder in den Fokus rückt. In meinen zumindest.

Lehrmeinung und Praxis ist es, die normale Geburt lediglich zu überwachen und mehr oder weniger natürlich ablaufen zu lassen. Dabei wird hingenommen, daß etwas schief geht und im Wesentlichen wird die Zurückhaltung mit Arbeitslast oder „Natürlichkeit“ oder Angst, etwas falsch zu machen oder zu stören begründet.

Gerade dieses Jahr habe ich nun in unterschiedlichsten Schäfereien recht häufig mit notwendiger Geburtshilfe zu tun.

Ich bin nun nicht mehr der Meinung, das Schaf muß das alleine machen. Ich greife also wesentlich früher ein als früher ( :gruebel: ). Wenn im Stall Geburten im Gange sind, hohle ich die Lämmer sofort und warte auch nicht mehr auf die Normallammung des zweiten oder dritten. Ich habe (gefühlt) folgende Vorteile dadurch:
1. Wesentlich fittere Muttertiere da eine längere Wehenphase auf‘s Minimum verkürzt wird.
2. Bessere Annahme der Nachgeborenen, weil alle Lämmer gleichzeitig vorgelegt werden können.
3. Keine Aspiration post partum, da die Lämmerköpfe gleich befreit werden
4. (das ist mir das Wichtigste) Komplikationen werden zum frühest möglichen Zeitpunkt bemerkt.
5. Mehr Zeit zum Schlafen.
6. Mehr lebende Lämmer.

Ob Ihrs glaubt oder nicht, wenn in einem Stall 5 Mütter rumliegen, kreiseln und pressen und ich sitze rum und überwache und überwache ... da geh‘ ich lieber bei und assistiere und hab‘ dann 3 Stunden am Stück um am Kissen zu lauschen.

Wie seht Ihr das?
Henry
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Steffi
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Steffi »

Warum ist denn der Kurs "Lämmerversorgung nach der Geburt" erst nach den Geburten, menno. Brauchen könnte ich den jetzt oder gestern :o:

Hier purzeln jetzt auch munter die Lämmer. Ich bin auch immer unsicher, ob und wann ich eingreifen soll. Klar, wenn ich dazukomme, wenn´s Kleine steht und fröhlich am Mamas Zitze nuckelt, Mutter und Kind glücklich und zufrieden wirken, hab ich erstmal nicht viel zu tun, außer Nabeldesinfektion und Selen geben.

Hab jetzt aber zum zweiten Mal Zwillinge von einer Erstgebärenden. Beide sehr zart, kaum Saugreflex, stehen zittrig, liegen viel. Mutter ist bemüht, aber kann ja auch nicht viel machen, außer ablutschen. Den ersten Zwillis hab ich alle 2 Stunden Milch abgemolken und per Magensonde verabreicht. Auf der Flasche haben sie nur rumgekaut. Nach 1 Tag hat dann die erste mit gutem Zug aus der Flasche getrunken und Nr. 2 hat wenige Stunden später entdeckt, wie man das macht. Seitdem trinken beide bei der Mutter, wachsen und gedeihen.

Die Zwillinge von heute Morgen haben das gleiche Problem. Zusätzlich hab ICH das Problem, daß Mama extrem tritt beim Abmelken und wenig kooperativ ist. Bis ich 20ml in der Flasche habe, ist die Milch schon wieder zu kalt :grr: Die beiden sind jetzt erstversorgt, liegen unter der Wärmelampe und alle haben 1 Stunde Pause zur Erholung. Mal sehen...

Ich finde das immer eine Gratwanderung zwischen Abwarten und Mütter stressen und bin mir unsicher, ob ich zuviel, zuwenig oder das Falsche mache :o:

LG,
Steffi
Sheep happens
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Henry
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Henry »

Warum ist das eine Gratwanderung? Ordentlich sauber durchgeführte Geburtshilfe, die bei der Normalgeburt ja lediglich auf das sanfte Weiten des Geburtsweges und ebensosanfte Zughilfe beschränkt ist, stressen doch das Muttertier nicht. Zumindest nicht jedes oder alle. In der Wehe draufgestürzt und ohne viel Theater die vorbereitete Hand direkt in den Scheidenausgang. Das löst ohnehin zügig die nächste Wehe aus. In der Pause dann Vorschub ins Becken und die Füße identifizieren. Die Hand am Lamm und im Becken informiert über ausreichende Weitung. Liegt das Lamm draußen und atmet, gleich das selbe nochmal, ohne erst mit der Gleithand irgendwas mistmattiges anzufassen und das nächste geholt.

Das ist kein Streß. Das ist zügige Komfortentbindung.

Was spricht aber dagegen?
Henry
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Clan Alba
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Clan Alba »

Ich sag's mal ganz persönlich und drastisch: Schafrassen und/oder Individuen, die nicht ohne Überwachung, geschweige denn Geburtshilfe, erfolgreich ablammen können, kommen für mich nicht in Frage.
wollwiese
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von wollwiese »

Clan Alba hat geschrieben:Ich sag's mal ganz persönlich und drastisch: Schafrassen und/oder Individuen, die nicht ohne Überwachung, geschweige denn Geburtshilfe, erfolgreich ablammen können, kommen für mich nicht in Frage.
Das sehe ich ähnlich. Da stellt sich mir auch die Frage, ob eine Selektion auf Leichtlammigkeit noch möglich ist, wenn man das konsequent so durchführt wie du es beschrieben hast. Und ob man sich so nicht langfristig Folgeprobleme heranzüchtet.
Den Arbeitsentlastungsaspekt in Großbetrieben kann ich noch nachvollziehen.

Aber ich denke schon, dass es das Muttertier stresst. Künstliches Aufdehnen des Geburtskanals ist schmerzhaft. Eine zusätzliche Infektionsgefahr besteht beim reingreifen auch immer.
Wenn alles gut läuft, ist die Geburt eh recht zügig, da muss ich nicht an Beinen ziehen, um was in relevantem Umfang zu beschleunigen.
Hinzu mögen noch "unsichtbare" Aspekte kommen, wenn Mehrlinge schneller als der normale Ablauf es vorsieht rausgeholt werden. Das kann hormonelle Dinge betreffen genauso wie physiologische. Müssen 3 Lämmer gleichzeitig trocken geleckt werden, ist jedes Lamm im Schnitt länger nass und von Auskühlen bedroht. Reibt man sie trocken, stört man das Bonding.

Ich habe dieses Jahr übrigens nicht eine einzige Ablammung überwacht. Das einzige was ich getan habe war, spät abends nochmal einen Kontrollgang zu machen um die nächste Kandidatin ggf ausfindig zu machen. Und die frischen Lämmer eine Weile zu beobachten ob sie gut zurecht kommen und trinken. Die Geburten selbst hab ich nicht zu Gesicht bekommen.
Ich habe eine Ablammquote von 1,4 (für meine Rasse top) und 0% Verluste.
:schaf2: loot de schoop man schietn, wull woos liekers. :schaf3:
grauwoller
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von grauwoller »

da stimme ich Clan Alba absolut zu!
Bei einer generellen Geburtshilfe unterbleibt die Selektion auf Leichtlammigkeit. Ich erhalte keine Information mehr darüber, welche Schafe ohne Hilfe lammen können. Das mag in dem ein- oder anderen Betrieb unerheblich sein. Wenn ich aber Tiere zur Zucht an andere verkaufe, und da wird die Geburt ohne permanente Hilfe erwartet, dann wird der käufer u.U. Probleme bekommen. So wie es mir mit dem Zukauf eines Bockes gegangen ist, dass ich 3 Fälle von Scheidenvorfall hatte, allesamt töchter dieses bockes....Hier hat der züchter das aussortieren der prolaps-anfälligen unterlassen, und ich hab´s mir teuer eingekauft, und musste rigoros nachsortieren, ärgerlich!
Das Zeitargument kommt ja auch nur dann zum Tragen, wenn ich meinen Schafen die alleinige Geburt nicht zutraue, und mir dann beobachtenderweise die Nacht um die Ohren schlage. Das ist bei meinen Pommern nicht der fall, wäre für mich auch nicht zu leisten.

Christoph
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Henry
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Henry »

Bitte denkt mal den Aspekt der Selektion (den ich nicht adressiert habe) weiter im Konkreten: Ein Mutterschaf mit Beckenlage oder Schmallenberglamm muß also leiden, weiterkämpfen und stirbt vielleicht, obschon sein Schäfer anwesend ist, damit dieser „Zuchtwerte“ erhält oder der Schäfer sammelt später (ohne anwesend zu sein) ein, was der Selektion nicht selbst zum Opfer fiel, weil er eine Überwachung nicht leisten kann. (Griffe er ein wenn er anwesend wäre?)

Mir geht es nicht um Zucht und Selektion mit meiner Frage, sondern um die konkrete Situation in der Lammzeit.
Henry
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Henry
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Henry »

Clan Alba hat geschrieben:Ich sag's mal ganz persönlich und drastisch: Schafrassen und/oder Individuen, die nicht ohne Überwachung, geschweige denn Geburtshilfe, erfolgreich ablammen können, kommen für mich nicht in Frage.
Das mag sein, aber hier/mir geht es um die Situation, in der eine Überwachung ohnehin oder planmäßig erfolgt.

Gehst Du denn weg, wenn Du siehst, das eine lammt?
Henry
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Steffi »

Geburtshilfe mußte ich erst bei einem Schaf leisten, das war vor drei Jahren - meine kleinste Aue, Erstgeburt, Riiiiesenlamm. War aber mit kurz mitziehen auch getan. Keine Verletzungen bei Mutter und Kind, danach ging dann alles von allein. Alle weiteren Geburten hat sie allein und souverän gemeistert, auch jetzt wieder ein 6kg Lamm. Dieses Jahr war bisher keine Geburtshilfe an sich notwendig, nur kühlen die Zwillinge bei dem Wetter schneller aus, als die unerfahrenen Erstlings-Mütter mit Trockenlecken nachkommen. Momentan geht das sehr schnell, daß ein frischgeschlüpftes Lamm auskühlt und den Lebensmut verliert, bevor es bei der Mutter an die Zitze kam. Die Einlinge machen bisher gar keine Sorgen. Zwillinge von einem erfahrenen Mutterschaf waren bisher noch nicht dabei.
Mittlerweile sind die Zwillinge von heute Morgen auch fit und tanken selbstständig bei Mama (die auch das Treten eingestellt hat).

Die Zwillinge (heute 1 Woche alt) klauen schon ihrer Mutter das Kraftfutter weg :o:

Generelle Geburtshilfe mag ich eigentlich auch nicht. Nur wenn was nicht so läuft, wie es soll, greife ich ein. Ich seh´s etwa wie Wollwiese, was Streß und Infektionsrisiko angeht. Der Grund der Geburtshilfe spielt bei der Selektion bei mir schon auch eine Rolle.

LG,
Steffi
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Re: Geburtshilfe bei der Normallammung?

Beitrag von Henry »

Gibt es andere Gründe, als den, daß man nicht weiß, obs auch alleine gut gegangen wäre?
Hygiene und Streßvermeidung einmal einkalkuliert. Warum würdet ihr selbstverständlich einer Frau helfen, die niederlommt, einem Schaf aber nicht? Was bremst Euch?
Henry
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