Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Manfred
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Manfred »

Das ist halt ein sehr komplexes Thema. Und schon sehr viel Text in diesem Thread. Ich empfehle aber, alles zu lesen, und nicht nur Rosinen zu picken, damit die Zusammenhänge erkennbar werden.

Beim Holistic Management geht es darum, in komplexen Situationen auf eine strukturierte Art und Weise mögl. gute Entscheidungen zu treffen.
Dazu muss man erst mal wissen, wo man hin will, sich also Ziele stecken bzw. einen Kontext erstellen, der die Richtung vorgibt und an dem die Entscheidungen gemessen werden.
Wer das vertiefen will, dem sei Allan Buch "Holistic Management - A New Framework for Decision Making" ans Herz gelegt. Es soll dieses Jahr noch eine neue, stark überarbeitete und vereinfachte Ausgabe unter dem Titel. "Holistic Management: A Commonsense Revolution to Restore Our Environment" erscheinen.

Die Bedeutung des Kontext wird z.B. klar, wenn jemand fragt: Ich will ein Feuer anzünden. Ist das gut oder schlecht?
Das kann niemand beantworten, der den Zusammenhang, also den Kontext nicht kennt. Es ist halt ein Unterschied, ob ich den Kaminofen anheize, weil mein Kind friert, oder ob ich dem Nachbarn die Scheune abfackle, weil ich wegen seines neuen Autos neidisch bin.

So ist es auch bei der Beweidung. Was unter einem Set von Voraussetzungen eine gute Entscheidung sein kann, ist unter einem anderen Set von Voraussetzung evtl. ein Schuss in den Ofen. Bevor man irgendwas entscheidet, sollte man sich klar sein, in welche Richtung es gehen soll.
Selbst wenn das genaue Ziel noch nicht feststeht, ich also noch überlege, ob die Reise nach Oslo oder zum Nordkap gehen soll, die grobe Richtung ist klar, ich sollte mich nach Norden, auf Norwegen zu bewegen.

In meinem Leben ist einiges auch noch nicht klar. Deshalb arbeite ich mit einem allgemein gehaltenen Kontext, der die Richtung vorgibt und mit dem ich inhaltlich voll übereinstimme, den ich aber bei Bedarf jederzeit wieder ändern und ergänzen kann:

"Wir leben in Frieden, Freiheit, körperlicher Sicherheit und Wohlstand, haben Zugang zu guter Bildung und können unseren religiösen und spirituellen Überzeugungen folgen. Wir verfügen über ausreichend nahrhaftes Essen und sauberes Wasser. Wir leben gesunde, ausgeglichene Leben mit Zeit für unseren Familie, Freunde und unsere Interessen und Aktivitäten.
All dies wird durch eine wiederherstellende Bewirtschaftung und hohe Biodiversität auf den Landmassen und in den Gewässern der Erde und eine regenerative Energieversorgung für viele zukünftige Generationen sichergestellt.
Ich habe eine sinnstiftende Aufgabe. Ich führe eine liebe- und vertrauensvolle Beziehung mit meiner Partnerin, eingebunden in den Familien- und Freundeskreis. Wir leben in einem gemütlichen Zuhause und bewirtschaften unser Land so, dass uns eine Fülle von Leben umgibt."

Das ist mein Kontext, der Zustand, den ich gerne in irgendeiner Fernen Zukunft erreichen möchte. Teile davon werde ich evtl. erreichen, Teile habe ich schon erreicht, andere werden in meinem Leben nicht erreichbar sein, aber ich möchte mit daran arbeiten, dass sich die Welt in diese Richtung bewegt.
Wie gesagt: Der Kontext den man sich setzt, ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Da kann jeder selbst völlig frei entscheiden. (Wichtig ist, dass man wirklich ausdrückt, was einem persönlich wichtig ist. Das man ein Bild malt, wie und in welcher Welt man idealerweise leben möchte, auch wenn Teile davon für einen persönlich absehbar nicht erreichbar sind, sondern evtl. erst in vielen, vielen Generationen.) Aber ich denke, dass zumindest ein guter Teil der Menschen eine weitgehende Übereinstimmung mit meinem Kontext hätte, auch wenn sie Teile weglassen und dafür anderes ergänzen würden.

Was bedeutet das jetzt für meinen landwirtschaftlichen Betrieb?
Es ergeben sich mehrere Anforderungen:
-Er soll wirtschaftlich sein, d.h. Gewinn machen und zumindest meinen Arbeits- und Kapitaleinsatz angemessen entlohnen
-Er soll nicht nur ökologisch nachhaltig sein, sondern darüber hinaus wiederherstellend wirken, d.h. Schäden am Ökosystem reparieren, die Böden verbessern, die Biodiversität fördern etc.
-Er soll sozial funktionieren, d.h. eine gute Lebensqualität bieten und den sozialen Zusammenhalt fördern, nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitmenschen

Bleibt die spannende Frage: Wie ist das zu erreichen? Da schreibe ich demnächst weiter. Dann komme ich auch zu meinen bisherigen Experimenten und dazu, wie sie sich in diese Gesamtschau fügen.
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von B-Johanna »

Sehr interessant und ich werde diese Beiträge weiter verfolgen.
Grundsätzlich habe ich ein Problem, da ich immer versuche einzelne Ansätze auf unsere gemäßigte Klimazone zu übertragen
und hier bei uns im Bergischen mit durchaus viel Nässe.
schafbauer
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von schafbauer »

Du schreibst so viel und hast nicht einmal einen Punkt meiner Fragen beantwortet.

Bsp wie Scheune brennt oder gehe Richtung Nordkap oder es soll wirtschaftlich sein, etwas abstecken, sich Ziele setzen helfen niemand bzw redet man nur um den heißen Brei herum.

Weniger Text, weniger Geschwafel. Sorry bin ein sehr direkter Mensch.
"Nur was man gerne macht, macht man auch gut." :schaf2:
smallfarmer
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von smallfarmer »

@ schafbauer. Wenn du weniger Text brauchst, musst es ja nicht lesen.
Es als Geschwafel zu bezeichnen, find ich strange.
Manfred
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Manfred »

@schafbauer: Deine Fragen habe ich praktisch schon im ersten Beitrag beantwortet. Du kannst auf selbstvers.org nachlesen, wenn du so ungeduldig bist. Dort habe ich einige meiner Versuche beschrieben.

Das Wesentliche an der ganzen Geschichte sind aber die Zusammenhänge. Mir scheint es noch nicht gelungen zu sein, die Tragweite zu vermitteln. Ich rede hier vom Grundübel der Menschheit, dass ständig Entscheidungen in einem völlig unzulänglichem, verkürztem Kontext getroffen werden, was dann zu unbeabsichtigten, teils fatalen Auswirkungen führt.
Das ist alles menschlich und verständlich, aber halt gleichzeitig auch ziemlich dumm, weil wir heute das Wissen hätten, solche Fehler zu vermeiden.

Aber weiter im Text:

Zur Lebensqualität gehört es für mich, Landwirtschaft mit Tieren zu betreiben. Ich möchte aber nicht jeden Tag von früh bis spät gebunden sein und mein Betrieb ist klein. So bin ich bei der Mutterkuhhaltung gelandet. Hätten evtl. auch Schafe werden können, aber ich bin mit Rindern groß geworden. Evtl. kommen irgendwann noch Schafe und Ziegen dazu, schon wegen den Vorteilen einer gemischten Herde bei der Beweidung.
Es tut auch gut, wenn man von Nachbarn und Spaziergängern ab und zu mal angesprochen wird und erfährt, dass sie gut finden, was man tut und sie Freude daran haben, die Tiere auf der Weide zu sehen. Das bringt mehr Lebensqualität als sich beim Güllefahren beschimpfen zu lassen und den nächsten Stallbau vor Gericht gegen die allfällige Bürgerinitiative durchsetzen zu müssen.

Wirtschaftlich ist meine These, basierend auf den faktischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, dass der Hightech-Landwirtschaft die Kosten immer schneller davonlaufen werden. Alles was der Landwirt kaufen muss, Gebäude, Maschinen, Dünger, Pflanzenschutzmittel, Treibstoffe, Strom usw. usw. wird auch weiter schneller im Preis steigen als die landwirtschaftlichen Urprodukte.
Deshalb versuche ich dieser Spirale zu entkommen und den Einsatz solcher Zukauf-Komponenten so weit es geht zu minimieren. Im Gegenzug will ich die Nutzung dessen optimieren, was uns kostenfrei zur Verfügung gestellt wird: Sonnenlicht, Niederschläge, Luft, diverse Immissionen, das was der Bach anspült etc.

Um das Sonnenlicht optimal zu nutzen, braucht es mögl. 365 Tage im Jahr einen Solarkollektor, der es auffangen und verwerten kann. Nackter Boden ist kein guter Solarkollektor, egal ob ich ihn gepflügt habe oder ob ihn die Tiere zertrampelt oder kahlgefressen haben, solange er kahl ist, ist dort keine Pflanze, die das Sonnenlicht einfängt.
Ein zu niedriger Bewuchs ist kein optimaler Solarkollektor. Es geht viel Licht ungenutzt verloren.
Ein überalterter, strohiger Bewuchs ist kein optimaler Solarkollektor. Auch hier geht viel Licht ungenutzt verloren.
D.h. man sollte mögl. das ganze Jahr flächendeckend einen aufnahmefähigen Pflanzenbestand haben, wenn man mögl. viel des verfügbaren Sonnenlichtes nutzen will.

Wasser geht uns verloren, wenn es oberflächlich abläuft oder ungenutzt verdunstet. Wir sollten das Wasser möglichst an Ort und Stelle versickern und einen Boden haben, der das Wasser bei Bedarf lang Zeit speichern kann. Die Versickerungsrate können wir durch die Art und Weise der Bewirtschaftung ganz massiv beeinflussen.
Sehr informative Vorträge dazu hält der Amerikaner Ray Archuleta. Er hat auch einen Versuchsaufbau entwickelt, mit dem sich der oberflächliche Abfluss und die Versickerungsrate verschiedener Bewirtschaftungsmethoden vergleichen lassen.
Hier ein aktueller Vortrag (auf Englisch) auf der Grassfed-Exchange 2016:
https://www.youtube.com/watch?v=yExpSwpRkEs
Kurzfassung auf Deutsch: Pfluglose Bodenbearbeitung + Anbau mögl. artenreiche Zwischenfrüchte und Untersaaten statt Pflug + zeitweise nackter Boden hat ebenso massive Vorteile bei der Versickerung und dem Humusaufbau wie eine gut geplante Intervallbeweidung gegenüber einer Dauerstandweide.
Beim ersten Versuch, wo die unterschiedlichen Bodenproben ins Wasser geworfen werden, ist zu beachten, dass es sich um getrocknete Bodenproben handelt, nicht um nasse Erdbatzen. Je stabiler das Bodengefüge, desto besser hält der Boden zusammen und desto höher ist wegen der stabilen Poren die Versicherungsrate.

Und es profitiert nicht nur das Bodengefüge, durch den Humusaufbau wird auch das Wasserspeichervermögen des Bodens massiv verbessert. (Was nicht nur uns Bauern hilft über Trockenphasen zu kommen, sondern zudem die Hochwassergefahr für die Unterlieger reduziert. Was wir versickern und speichern oder ins Grundwasser weiterleiten, kommt dort nicht als Überschwemmung an.)

Auf selbstvers.org habe ich dazu im Februar diesen Beitrag geschrieben:
"Humusgehalt und Wasserspeichervermögen des Bodens:

Diese Tabelle habe ich aus einem Vortrag von Gabe Brown geklaut:

Bild

Sie zeigt das Wasserhaltevermögen des Bodens ins Abhängigkeit von der Bodenart und dem Humusgehalt in %.
Die Zahlenangaben sind in Wassersäule (in Inch) pro Fuß Bodentiefe.
Bei Sandboden mit 1% Humusgehalt kann also 1 Inch = 25,4 mm Wasser je 1 Fuß (=30,48 cm) Bodentiefe gespeichert werden.
Umgerechnet sind das 83,3 mm pro 1m Bodentiefe, bzw. 833 Kubikmeter pro Hektar und Meter Bodentiefe.

Ich habe die Tabelle ins metrische System übertragen:

Bild "
schafbauer
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von schafbauer »

Manfred hat geschrieben:@schafbauer: Deine Fragen habe ich praktisch schon im ersten Beitrag beantwortet. Du kannst auf selbstvers.org nachlesen, wenn du so ungeduldig bist. Dort habe ich einige meiner Versuche beschrieben.
hab deinen tipp dem regenwetter angepasst u die foren u holistic genauer betrachtet.

zu deinen texten: ich kann auch vieles sagen ohne etwas gesagt zu haben.

und vielen dank für deine ausführungen. ich habe mir schon mein bild davon gemacht. wie du auch in den foren schreibst dass du auf 20ha dauerweide die paar tiere stehen hast u trotzdem futterbau praktizierst kann man - meiner meinung nach - nicht von wirtschaftlichkeit sprechen. aber egal. abgehakt.

vielleicht passen deine textinhalte auch besser nach afrika oder sonstige savanen steppen.... als in die kulturlandschaft mitteleuropas wo es nur noch gewisse gebiete mit wertvollen pflanzenteilen gibt u man sie dort eigentlich nur schützen muss

würde mich eher mehr sorgen um die wachsende anzahl an BGA in D u Fotovoltaik auf Freiflächen machen

ich bewirtschafte selbst 45ha reine weideflächen in steilster hanglage mit schafen zwischen 320m u 1600m Seehöhe und 440ha in einer Gemeinschaft auf 2000m. sehe gerade an den extremen Stellen u Gebieten wie die beweidung dort gutes tut wenn man sie richtig macht. mein Biologenfreund :) ist aus dem häuschen :lol: mir passts - den tieren passts noch besser - ich mache so weiter.

mach weiter so. für mich ist es nichts. wird zu viel geredet zu wenig gemacht. schönen tag. viel erfolg. (bitte keine streiteren).
"Nur was man gerne macht, macht man auch gut." :schaf2:
Manfred
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Manfred »

Ich lerne immer gerne dazu. Würde mich freuen, wenn du selbst ein Thema eröffnest in dem du schreibst, was du so tust und warum.
Vermutlich ist die Übereinstimmung größer, als du evtl. denkst.

Musst ja nicht mögen, was ich schreibe. Ich teile nur gerne Wissen, dass ich für wichtig halte und erzähle von Experimenten und Fehlern, die ich gemacht habe, damit andere sie vermeiden können. Beurteilen und prüfen soll das dann jeder selbst. Mancher wird gar nichts damit anfangen können, anderen wird es evtl. helfen.

Auf die betriebswirtschaftlichen Daten bin ich hier noch gar nicht eingegangen, finde aber, dass darüber viel zu wenig gesprochen wird.
Wenn ein paar Interessenten zusammenkommen, könnten wir gerne eine geschlossene Gruppe dafür einrichten. Öffentlich mag ja kaum wer seine Zahlen ausbreiten. Ob Haupt- oder Nebenerwerb tut sich da nicht viel. Es gibt reichlich Stoff, voneinander zu lernen.
Manfred
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Manfred »

Wo war ich im Text. Wasser war durch.
Die Umwandlung des Aufwuchses in ein marktgängiges Produkt habe ich vergessen. Dazu braucht es einen Kompromiss aus effektiver Grasverwertung (bei den heutigen Zuchtlinien zumindest im Rinderbereich schwer zu finden) und Markttauglichkeit. Das Problem dabei ist, dass die effektiveren Rinder idR kleinrahmiger sind, was aber in der Vermarktung Probleme macht, weil sie dann zu klein für die gängigen Preismasken werden. Das ist in Afrika und den Amerikas ein viel kleineres Problem, weil die Mast- und Schlachtbetriebe dort gut auf unterschiedliche Rahmengrößen ausgerichtet sind. Schafe sind durch ihre höhere Stoffwechselrate von Haus aus effektiver als Rinder, aber auch hier gibt es erhebliche Unterschiede.

Bleibt die Ökologie. Hier geht es mir zunächst darum, meine Böden wieder aufzuwerten und den Wasserhaushalt zu verbessern. Der mit Abstand größte Teil der Biodiversität spielt sich im Boden ab. Nur makroskopische Pflanzen oder Tierarten auf dem Boden zu zählen, führt deshalb zu einer extrem eingeschränkten Sicht. Die Pflanzen machen allenfalls Promille der gesamten Artenvielfalt aus. Knapp 1/3 meiner Flächen sind extensive Mähwiesen, teils mit Düngeverbot und Schnittzeitpunktauflagen. Unter solchen Auflagen ist es kaum möglich, die Böden zu verbessern. Die pH-Werte liegen auf solchen Flächen in unserer Gegend oft unter 5. Das bremst massiv das Bodenleben und bei solchen pH-Werten werden viele Schwermetalle im Boden mobilisiert und von den Pflanzen aufgenommen oder ins Grundwasser ausgewaschen. Die Pflanzen-Biologen dagegen freuen sich über diese Flächen und kämpfen für eine starre Beibehaltung des Status quo, weil dort eine breite Palette von Pflanzen wächst, die sich auf intensiv gedüngtem Grünland nicht mehr durchsetzen können. Eine problematische Situation. Ideal wäre eine Bewirtschaftung, welche das Bodenleben zurück bringt, die Vielfalt auch der Pflanzenarten erhält oder gar verbessert und den Ertrag der Flächen steigert. Ob das möglich ist, bleibt abzuwarten. Auf Flächen, die beweidet werden dürfen, ist man da deutlich flexibler und es wird wenigstens ein Teil der Nährstoffe zurückgeführt, statt die Fläche nur abzumagern.
Ansonsten bemühe ich mich, Nischen zu schaffen. Auf meinen paar ha haben wir bisher z.B. knapp 70 Vogelarten nachgewiesen, inkl. durchziehender Arten. Bei der Wiesenmeisterschaft (die wird jedes Jahr in einer anderen Region in Bayern veranstaltet) hat die Jury auf zwei Diagonalen über eine 1 ha Mähwiese 49 krautige Pflanzenarten gezählt (Gräser wurden nicht erfasst). Das sind natürlich eher Spielereien, aber ich interessiere mich dafür, was hier so lebt und freue mich, wenn sich weitere Arten einfinden. Die Insekten sind ungezählt. Neulich wurde in einer Wiesen-Doku im Fernsehen behauptet, das die Spinnen auf einer gesunden Wiese pro Jahr 3000 kg Insekten fressen. Bei dem Vermehrungsraten der kleinen Wusler kann ich mir das gut vorstellen.
Manfred
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Manfred »

Wie ich auf das Thema Holistic Management gestoßen bin:
Ich habe Anfang 2011 den Betrieb meiner Eltern übernommen. Gemischtwarenlanden mit ein paar Milchkühen in Anbindehaltung, Mast der eigenen Nachzucht, Grünland + etwas Ackerbau zu Futterzwecken, zusammen ca. 30 ha. Ein paar Mutterkühe und etwas Jungvieh habe ich schon einige Jahre den Sommer über auf die Weide gestellt. Im Winter standen die Mutterkühe in einer kleinen Maschinenhalle auf Tiefstreu, die Färsen und Absetzer kamen wieder in den Anbindestall.
Lief mehr schlecht als recht. Seit Ende der 70er keine nennenswerten Investitionen mehr. Maschinen und Gebäude am Ende. Die letzten Jahre rote Zahlen, die durch anderes Einkommen ausgeglichen werden mussten.
Mein Vater hatte den Betrieb im Vollerwerb betrieben und ging zusätzlich 2 Tage die Woche arbeiten.
In der Form hatte der Betrieb natürlich keine Perspektive mehr. Also habe ich ihn auf Nebenerwerb umgemodelt. Mutterkühe in ganzjährige Freilandhaltung (mit eingestreutem Unterstand für den Winter). Durch Pachtflächentausch konnte ich nach und nach an der Weide etwas arrondieren. Jetzt habe ich knapp 20 ha gezäunt. Davon 1 ha etwas abseits, das als Pferdeweide für ein paar Pensionspferde reserviert ist, die zeitweise auf dem Betrieb sind. Gut 1 ha ist in einem Blühflächenprogramm, das ich über die Flächen rotiere, bei denen ich den Ackerstatus erhalten muss. 1 ha ist Lurzenkleegras und der Rest sind extensive Mähwiesen mit diversen Auflagen, ohne Düngung und entsprechend wenig Ertrag.
Dieses Jahr musste ich zudem in der Weide 5 ha wegen Ackerstatus umbrechen. Die habe ich für GPS genutzt, aber sie haben wir natürlich als Weidefläche gefehlt.
Das ganze läuft als Biobetrieb. In Bayern dürfen Biobetriebe seit diesem Jahr zwar wieder Grünland umbrechen, es gibt aber keine Zusage, wie lange das so bleiben wird. Deshalb muss ich weiter alle Ackerflächen nach 5 Jahren jeweils mit einer Frucht nuten, die für den Ackerstatus zählt. Ich hoffe, dieser Blödsinn findet bald ein Ende und ich kann die Flächen dauerhaft als Grünland nutzen ohne dass meine Verpächter um ihre Eigentumsrechte fürchten müssen.

Die Weide habe ich im Sommer als Umtriebsweide und im Winter als Dauerstandweide mit Zufütterung genutzt. Der Futterertrag ist bei dieser Betriebsweise mit der Zeit gefallen. Anfangs habe ich das auf die weggefallene Düngung durch die Bio-Umstellung geschoben. Dann ist mir aber aufgefallen, dass das Gras in den angrenzenden Straßengräben besser wächst als auf der von mir "gemanagten" Weide. Das war für mich der Aufwach-Moment wo mir klar wurde, dass ich irgendetwas falsch mache.
Dann habe ich mich bei den Leuten umgesehen, die seit jeher Weidewirtschaft betreiben und ohne staatliche Zahlungen damit Gewinne einfahren müssen, um zu überleben. Nach ein paar Zwischenstationen bin ich bei Vorträgen von Ian Mitchell Innes und Greg Judy gelandet und so schließlich bei der Arbeit von Allan Savory. Diese Typen haben es nicht nur geschafft, Flächen, die für mich einfach nur fast nackte Wüste waren, wieder in fruchtbares Grünland zu verwandeln, sie haben damit auch noch gutes Geld verdient. Bei der Recherche bin ich auf immer mehr Leute überall auf der Welt gestoßen die gesagt haben: Unser Betrieb war am Ende, wir waren schwer verschuldet und standen kurz davor alles zu verlieren, als letzten Notnagel haben wir HM ausprobiert und jetzt, Jahre später, sind wir schuldenfrei und verdienen gutes Geld und unser Land ist deutlich wertvoller geworden.
Ich wollte wissen, was davon auch unter unserer Bedingungen anwendbar ist und habe herausgefunden, dass auch unter nördlichen, feuchten Bedingungen bereits erfolgreich nach diesen Ideen gearbeitet wird. In Schweden und Großbritannien gibt es inzwischen sogar HM-Schulungsbetriebe. Auch in Portugal ist einer am entstehen. Weltweit sind bereits Millionen ha umgestellt. In D scheine ich dagegen einer der ersten zu sein, die sich damit näher beschäftigen.

Jedenfalls habe ich 2015 (bzw. im Herbst 2014) mit den ersten kleinen Versuchen begonnen. Ich glaube ungerne etwas, das ich nicht selbst gesehen oder ausprobiert habe.
Zuerst wollte ich wissen, was an der Geschichte dran ist, dass die Tiere nicht zu lange auf einer Fläche bleiben sollen und nicht zu früh wieder drauf dürfen. Wenn die Grünlandpflanzen abgefressen oder abgemäht werden, mobilisieren sie ihre Reserven um sehr schnell wieder auszutreiben. In der Vegetationsphase ist dieser Austrieb nach ca. 4 bis 6 Tagen so hoch, dass die Rinder diese saftigen jungen Triebe erneut abfressen. Und genau das, dieses 2. Abfressen, ist fatal für die Pflanze. Sie hat keine ausreichenden Reserven mehr für einen erneuten schnellen Austrieb und muss dann mit der Photosynthese der wenigen verbliebenen Blattfläche auskommen und davon das erneute Wachstum bestreiten, während Pflanzen ohne diesen 2. Verbiss aus den Reserven viel schneller neue Blattmasse aufbauen und so auch schneller und mehr neue Photosynthesekapazität erlangen.
Wenn man die Tiere also rechtzeitig von der Fläche nimmt, und so den 2. Biss verhindert, dann wachsen die Pflanzen schneller wieder hoch.
Das wollte ich testen. Also habe ich eine kleine Teilfläche abgezäunt, so klein, dass die Herde sie in max. 3 bis 4 Tagen abfressen konnte, und dann die Tiere wieder ausgesperrt. Den Rest der Fläche habe ich beweidet wie bisher.
Ich habe 2 solcher Versuchsflächen. Die eine habe ich hier mit Bildern dokumentiert, im Vergleich zu angrenzenden, im alten System belassenden Teilweide:
http://www.selbstvers.org/forum/viewtop ... 28&t=14682
Der Versucht läuft jetzt 2 Jahre, und beide Versuchsflächen lieferten merklich mehr Ertrag als die Vergleichsflächen.

Für den Wanderschäfer wird das kaum relevant sein, er hat seine Tiere eh nicht länger auf einer Fläche und schädigt so den Wiederaustrieb nicht. Dem einen oder oder anderen Koppelschäfer regt es evtl. zu eigenen Experimenten an.

Womit ich mich noch etwas scher tue ist die Frage: Wann die Tiere frühestens wieder auf die Fläche lassen.
Die Pflanzen brauchen ausreichend Zeit, nicht nur um neue Blattmasse zu entwickeln, sondern auch um ihre Reserven wieder aufzufüllen. Kommt man zu früh zurück, wenn die Reserven noch nicht ersetzt sind, dann wird der folgende Austrieb verlangsamt und man verliert wieder Ertrag.
Savory, studierter Wildbiologe, dessen Schwerpunkt auf dem Erhalt der Biodiversität liegt, nennt folgendes Kriterium: Man sucht sich die Pflanzenarten, die durch die Beweidung am stärksten geschwächt wurden und die am langsamsten wieder hoch kommen, und wartet so lange, bis diese sich vollständig erholt haben, sprich wie eine voll entwickelte Pflanze vor der Beweidung aussehen. Nur so ist sicherzustellen, dass die Beweidung keine Pflanzenart durch Übernutzung verdrängt.
Das wäre vermutlich das Kriterium der Wahl, wenn die Priorität des Weideprojektes auf der Erhaltung und Förderung der Pflanzenvielfalt liegt.
Die HM-Praktiker in feuchteren Regionen, deren Priorität auf betriebswirtschaftlichen Zielen liegt, die also (bei gleichzeitiger Aufwertung der Flächen) mögl. viel Fleisch oder Milch oder Wolle etc. produzieren wollen, arbeiten mit einem anderen Kriterium: Sie beweiden frühestens dann wieder, wenn die wichtigsten Futtergräser, die sie fördern möchten, das 3-Blatt-Stadium erreicht haben, also 3 vollständige Blätter je Knoten entwickelt haben. Diese frühere Nutzung verschiebt die Wettbewerbsvorteile hin zu schnellwachsenden Gräsern. Empfindliche Arten können sich auf diesen Flächen nicht durchsetzen.

So betreibe ich auch die beiden schon genannten Versuchsflächen. Zusätzlich habe ich eine 3. Fläche, die ich mögl. nur 1 bis 2 x im Jahr beweide. Dort möchte ich beobachten, wie sich das auf die Artenvielfalt auswirkt.
Einige Bilder dieser 3. Fläche gibt es hier:
http://www.selbstvers.org/forum/viewtop ... 28&t=14687
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Re: Ganzheitlich geplante Beweidung - Holistic Management

Beitrag von Schafhüterin »

Manfred hat geschrieben:Man muss zunächst mal unterscheiden zwischen Gebieten mit sprödem Klima und gebieten mit ausgeglichener Feuchtigkeitsverteilung über das Jahr
Ich befinde mich hier in der Rheinebene zwar in einem milden Klima, jedoch auf Sandböden. Diese sollen ausgemagert werden.

Jetzt sind darunter auch Flächen, wo damals Boden (zur Aufschüttung der damals gebauten Autobahn) abgetragen wurden und mit irgendeinem Geröll, oder was auch immer gefüllt wurden. Gerade auf diesen Böden sollen sich (Wunsch des Auftragsgeber) irgendwelche geschützten Pflanzen ansiedeln. Unmöglich.

Auf diesen Flächen wächst im Frühjahr gerade noch Brombeere, Brennnessel und Wicke. Tritt die Trockenperiode im Sommer auf, ist hier im ganzen Landschaftsschutzgebiet Steppe. Dürre gelbe Halme, dieses Jahr sogar braun verbrannt.

Oben genannte Fläche habe ich dieses Jahr (Vorgabe Juni - Sept.) etwas spät beweidet, da war alles gelbbraun, mit nur etwas Auswuchs. Ich habe 135 Schafe auf eine Versuchsfläche (Teil einer Fläche von 1,2 ha) von 500 qm gestellt, bis das noch Verwertbare (sehr wenig) weggefressen war. Die verschmähten Halme wurde niedergetrampelt.

Die Beweidung ist an dieser Stelle so nicht vorgesehen, sondern Beweidung im angegebenen Zeitraum, im Herbst Nacharbeit, wenn notwendig.
Diese Weide wird nur einmalig im Jahr beweidet. Nun warte ich bis zum Frühjahr ab, wie sich die Weide entwickelt hat.

Ich werde mich jetzt mal intensiver mit dem Holistic Management befassen und sehen, ob und was ich für mich rausziehen kann.
Für mich noch rauszufinden, wann der optimale Einsatz und mit welcher Besatzdicht erfolgt.
(Habe die ganzen Berichte noch nicht ganz durchgelesen.)
Schafhüterin


Ich arbeite für Schafe
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